Vom 02. bis 08. Juni waren wieder Zeitzeug*innen aus Polen, Belgien und Schweden zu Gast im Bistum Mainz. Die Überlebenden Dr. Leon Weintraub, Henriette Kretz, Józefa Posch Kotyrba, Mieczyslaw Grochowski und Mikołaj Skłodowski sind zwischen 79 und 98 Jahre alt und sprachen jeden Vormittag im Tagungshaus der EKHN Kloster Höchst in Höchst im Odenwald vor insgesamt rund 770 Schülerinnen und Schülern. An den Gesprächen nahmen das Starkenburg-Gymnasium Heppenheim, die Ernst-Göbel-Schule Höchst, die Theodor-Frey-Schule Eberbach, das Gymnasium Michelstadt, die Georg-Ackermann-Schule Breuberg, die Schule am Sportpark Erbach und die Goetheschule Dieburg teil. Außerdem kamen 220 Schülererinnen und Schüler von Darmstädter Schulen zur Abendveranstaltung mit Dr. Leon Weintraub.
Erstmals zu Gast bei den Zeitzeugenbesuchen im Bistum Mainz war Mikołaj Skłodowski aus Sopot in Polen, der am 25. März 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück zur Welt kam. Mikołaj Skłodowskis Mutter wurde während des Warschauer Aufstandes 1944 verhaftet und nach Ravensbrück deportiert. Im April 1945 kam die Mutter mit ihrem Säugling im Rahmen einer Hilfsaktion des Schwedischen Roten Kreuzes nach Schweden und kehrte im Oktober 1945 mit ihrem Sohn nach Polen zurück.
Mikołaj Skłodowski im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern
(c) Stephanie Roth
Mieczyslaw Grochowski, der als Kind von den deutschen Besatzern in das Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz verschleppt wurde, beeindruckte die Schüler*innen wie immer nicht nur mit seiner Lebensgeschichte und seiner offenen und herzlichen Art, sondern auch mit seinem Trompetenspiel. Der Berufsmusiker ist stolz, auch im Alter von 85 Jahren noch spielen zu können. Den Schulklassen präsentiert er zum Abschied eine Melodie, die er jährlich bei den Gedenkfeiern des ehemaligen Internierungslagers für die dort verstorbenen polnischen und deutschen Kindern spielt.
Mieczyslaw Grochowski spielt zum Abschluss des Gesprächs Trompete
(c) Sabrina Odelga
Józefa Posch-Kotyrba ist seit 2015 regelmäßig als Zeitzeugin zu Gast im Bistum Mainz. Die 86-Jährige aus Jaworzno schildert den Schüler*innen die Aktivitäten des polnischen Widerstandes in der Nähe des Konzentrationslagers Auschwitz. Aufgrund dieser Aktivitäten wurde ihre Familie 1943 verhaftet. Die Mutter wurde in Auschwitz ermordet, der Vater als Untergrundkämpfer erschossen. Die Kinder wurden nach einer qualvollen Odyssee im Lager Potulice interniert. Nach dem Krieg nahm die Großmutter die Kinder zu sich, Józefa wuchs später in einem Waisenhaus auf.
Józefa Posch-Kotyrba mit Schüler*innen der Goethe-Schule Dieburg
(c) Jennifer Neu
Auschwitz-Überlebender Dr. Leon Weintraub spricht vor 400 Zuhörer*innen in Darmstadt
Dr. Leon Weintraub
(c) Grazyna Mühl
Dr. Leon Weintraub, 98jähriger Überlebender des Ghetto Litzmannstadt und des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, berichtete am 5.6. im Justus-Liebig-Haus in Darmstadt vor rund 400 Besucher*innen im Gespräch mit Moderatorin Stephanie Roth über seine Kindheit und Jugend, seine Zeit im Ghetto und im KZ, seine Flucht, sein Studium in Göttingen sowie sein Leben als Frauenarzt in Polen und Schweden.
Das Zeitzeugengespräch, das unter dem Motto „Versöhnung mit dem Bösen“ stand, das auch der Titel der 2022 erschienenen Lebenserinnerungen von Leon Weintraub ist, wurde vom Maximilian-Kolbe-Werk zusammen mit dem Bistum Mainz, dem Deutschen Polen-Institut, der Darmstädter Geschichtswerkstatt, pax christi Rhein-Main und dem DGB Bildungswerk Hessen veranstaltet.
Der Holocaust-Überlebende nutzte die anschließende Fragerunde für eine eindrückliche Warnung vor rechtsextremen Parteien und rief anlässlich der anstehenden Europawahl dazu auf, sich für die Demokratie und ein friedliches Miteinander einzusetzen.
Auf die Frage danach, was ihn dazu motiviere, im hohen Alter noch als Zeitzeuge in Schulen und bei Veranstaltungen aufzutreten, sagte Weintraub, er fühle sich auch in Hinblick auf seine ermordeten Familienmitglieder innerlich dazu verpflichtet, über seine Erlebnisse zu berichten. Die Zuhörer*innen waren sichtlich berührt von Weintraubs Bericht und bedankten sich mit viel Applaus, bei vielen Rückmeldung in der Fragerunde und im Anschluss an die Veranstaltung, bei der Herr Weintraub noch einige seiner Bücher signierte und mit Besucher*innen ins Gespräch kam.
Viele Interessierte bei Gespräch mit Holocaust-Überlebender Henriette Kretz an der Goethe-Uni Frankfurt
Die Holocaust-Überlebende Henriette Kretz sprach am Donnerstag, 6. Juni, bei einer öffentlichen Abendveranstaltung an der Goethe-Universität in Frankfurt vor 100 Zuhörer*innen. Die Veranstaltung wurde von der Fachschaft Geschichte organisiert. Die 89jährige aus aus Antwerpen überlebte das Ghetto Sambor in der heutigen Ukraine. Als das Versteck der Familie verraten wurde, musste sie im Alter von neun Jahren mit ansehen, wie ihre Eltern erschossen werden.
Henriette Kretz an der Goethe-Uni Frankfurt
(c) Sandra Horky
Umfrage unter Schüler*innen und Dankesbrief zeigen Bedeutung von Zeitzeugengesprächen auf
Die Erzählungen der Zeitzeug*innen hinterlassen einen tiefen Eindruck bei den Schüler*innen. Neben direkten Rückmeldungen bei den Gesprächen und im Nachgang seitens der begleitenden Lehrer*innen bestätigt sich dies auch durch eine Online-Umfrage, die drei Wochen nach dem Zeitzeugenbesuch durchgeführt wurde. Die teilnehmenden Schüler*innen beschreiben darin das Gespräch mit den Überlebenden als wichtige und intensive Erfahrung, bei der sie viel gelernt haben. Die Erzählungen der Zeitzeug*innen werden als berührend, traurig, aber auch spannend und mitreißend bewertet.
Der Religionskurs der 11. Klasse des Starkenburg-Gymnasiums Heppenheim dankte Mikołaj Skłodowski in einem Brief: "Ihre eindrucksvollen Schilderungen und persönlichen Erfahrungen haben uns nicht nur geholfen, diese historischen Ereignisse besser zu verstehen, sondern auch die menschliche Seite dieser Zeit nachzuvollziehen. (…) Ihre Geschichte hat uns nachträglich noch lange berührt (…) Sie haben unser Bewusstsein für dieses Thema verstärkt und uns darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig unser Verhalten für die Zukunft ist."
Die Zeitzeug*innen mit dem Starkenburg-Gymnasium Heppenheim
(c) Stephanie Roth