Shoah-Überlebender Josef Salomonovic berichtete in Freiburg vom Überleben im Ghetto und Konzentrationslager
Nach mehr als zwei Jahren Pause durften wir letzte Woche wieder einen Zeitzeugen des NS-Regimes in Freiburg willkommen heißen. Der Shoah-Überlebende Josef Salomonovic (83), der in der Tschechoslowakei geboren wurde und heute in Wien lebt, reiste auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks nach Deutschland.
Am 18. Mai traf er mit Studierenden der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Rahmen der Reihe "Zeitzeugen der NS-Zeit im Gespräch" zusammen, die wir in Kooperation mit dem Colloquium politicum der Universität Freiburg veranstalteten. Einen Tag später war er an der Katholischen Hochschule zu Gast. Rund 250 Studierende nutzten die Gelegenheit, einen der letzten Überlebenden der Konzentrationslager und Ghettos persönlich zu treffen.
In zweistündigen Gesprächen nahm der 1938 geborene Josef Salomonovic die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf die über vier Jahre dauernde, grausame Reise, die er als kleiner Junge erlebt hatte. Detailliert und eindrücklich schilderte er seine persönlichen Erinnerungen und die Erinnerungen seiner Mutter an diese Zeit. Stets an seiner Seite war die Ehefrau Elisabeth, die die PowerPoint-Präsentation bediente und ihn unterstützte, wenn er vor Aufregung nach Worten ringen musste.
Nach dem Kriegsausbruch ging die Familie Salomonovic - die Eltern und zwei Söhne - aus der tschechischen Heimat in Ostrava zunächst nach Prag, wo sie sich in trügerischer Sicherheit wähnte. Pepek, wie Josef zuhause genannt wurde, war damals erst drei Jahre alt. Doch dann folgte im November 1941 die Deportation ins Ghetto Litzmannstadt. "Wir machen einen Ausflug nach Polen", erinnert er sich an die Worte seiner Mutter. Von dort ging es im Juni 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz. Seine Erinnerung an Auschwitz-Birkenau: "Nach der 'Sauna' sahen alle Frauen für mich gleich aus, ich konnte meine Mutter nicht unterscheiden. Doch meine Schuhe, die offen waren, konnte ich nicht allein binden. So rannte ich einfach auf die Menge zu, bis meine Mutter vortrat und mir half."
Anschließend wurden sie ins Konzentrationslager Stutthof in der Nähe von Danzig überstellt, wo die Familie getrennt wurde: Josef kam mit der Mutter in den Frauenblock, der ältere Bruder mit dem Vater in den Männerblock. Der Vater wurde nach wenigen Wochen mit einer Phenolspritze ins Herz ermordet. "Ich war nicht dabei. Mein Bruder stand vor der Baracke und hat fürchterlich geweint", sagt Josef Salomonovic mit leiser Stimme.
Knapp drei Monate später kam die Mutter mit den Söhnen nach Dresden in ein Außenlager des KZ Flossenbürg, wo sie in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit leisten mussten. Josef entging dort nur knapp dem Tod. Weil er zu klein war, um zu arbeiten, wurde er von der Mutter versteckt. Doch der Junge wurde von der SS entdeckt und sollte am 13. Februar 1945 erschossen werden. "Dieser Dreck muss weg' lautete der Befehl", erinnert sich der Zeitzeuge. In der Nacht wurde jedoch Dresden bombardiert und der Erschießungsbefehl wurde nicht mehr ausgeführt. Aus dem bombardierten Dresden wurden die Salomonovics mit anderen Häftlingen zu Fuß in ein weiteres Lager bei Pirna getrieben, kamen aber bald wieder zurück. Von Dresden wurde Josef mit seiner Mutter und dem Bruder auf einen "Todesmarsch" in das Flossenbürger Außenlager Zwodau geschickt. Es gelang ihnen, sich in einer Scheune zu verstecken und kurz darauf wurden sie von den Amerikanern befreit.
Die Zuhörerinnen und Zuhören verfolgten aufmerksam die emotionale Erzählung des Zeitzeugen, der eindrücklich schilderte, mit welchen Herausforderungen er als Kind konfrontiert wurde und welche Strategien er entwickelt hatte, mit der Situation umzugehen. Er berichtet von einer Streichholzschachtel mit vier Stück Zucker, die seine Mutter ihm gab mit den Worten: "Zucker darfst du essen, wenn ich nicht mehr bin". Der kleine Pepek machte die Schachtel so lange auf und zu, bis das Etikett kaputt ging. "Ich wollte Zucker, aber auch meine Mutter sollte leben". Erst als die Mutter es erlaubte, aß er ein Stückchen.
Zwei Gegenstände aus dieser Zeit hat Josef Salomonovic nach Freiburg mitgebracht: Einen Löffel und ein kleines Flugzeug. Der Löffel sicherte seine Ernährung und somit sein Überleben. "Aufgrund der Mangelernährung war ich nicht gewachsen und hatte keine Zähne. Mit dem Löffel konnte meine Mutter für mich Kartoffeln schaben," erklärte der 83-Jährige. Der Löffel, den Pepek von Prag ins Ghetto Litzmannstadt mitnahm, hat mit ihm drei Konzentrationslager und einen Todesmarsch überstanden. "Bis nach Wien hat es dieser Löffel geschafft". Der zweite Gegenstand war ein kleines Flugzeug, welches Josef bei der Befreiung von einem Amerikaner geschenkt bekommen hatte.
"Nach zwei Jahren Pandemie und angesichts des aktuellen Kriegsgeschehens in der Ukraine frage ich mich, ob meine Geschichte noch in die heutige Zeit passt", gesteht Josef Salomonovic. Doch das Erstarken des Rechtsextremismus motiviert ihn, die Jugend über die NS-Zeit weiter aufzuklären.
Elisabeth und Josef Salomonovic