Nach zwei Jahren Unterbrechung, in denen durch die Pandemie keine Besuche von Zeitzeugen stattfinden konnten, waren nun wieder Überlebende deutscher Konzentrationslager aus Polen zu Gast im Bistum Mainz.
Alodia Witaszek-Napierala, Jozefa Posch-Kotyrba und Mieczyslaw Grochowski wohnten vom 08. bis 14. Mai 2022 im Kloster Jakobsberg in Ockenheim.
Die zwischen 83 und 87 Jahre alten Zeitzeugen waren in ihrer Kindheit in dem Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz, in verschiedenen Internierungslagern für polnische Kinder sowie dem "Jugendverwahrlager Litzmannstadt" inhaftiert. Jeden Vormittag schilderten sie Schülern ihre Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. An den Gesprächen, die in der Bildungsstätte Kloster Jakobsberg stattfanden, nahmen insgesamt 550 Schüler teil. Begleitet wurde das Projekt von Ehren- und Hauptamtlichen des Bistums Mainz und des Maximilian-Kolbe-Werks.
Jozefa Posch-Kotyrba mit Schülern nach dem Zeitzeugengespräch.
(c) Malgorzata Zajonz
Ein besonderes Event war die Pressekonferenz mit Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig, an der am 10.05.2022 neben Journalisten 38 Schüler der Maria-Ward-Schule teilnahmen. Thema war die Zukunft der Zeitzeugenarbeit an Schulen in Rheinland-Pfalz. Gemeinsam mit Filmemacher Edmund Bohr und Autor Reiner Engelmann stellte das Bildungsministerium RLP zwei Filme über die beiden Holocaust-Überlebenden Henriette Kretz und Niusia Horowitz-Karakulska vor. Henriette Kretz wurde per Videokonferenz aus Antwerpen zugeschaltet. Mit ihrem Statement zu den Gräueln im Ukraine-Krieg bewegte die 87-jährige Holocaust-Überlebende alle Anwesenden. "Ich bin wütend, ich bin schrecklich wütend, dass so etwas passiert", sagte die in der heutigen Ukraine geborene Zeitzeugin, "es ist dieselbe Gewalt, dieselbe Brutalität wie im Zweiten Weltkrieg".
Holocaust-Überlebende Henriette Kretz schaltete aus Antwerpen per Video zu.
(c) Stephanie Roth
Die Schülerinnen der Maria-Ward-Schule Mainz hatten sich mit ihren Lehrerinnen Ulla Graw und Alexandra Wiesemann gründlich auf die Begegnung mit den Zeitzeugen vorbereitet. Den anwesenden Pressevertreterinnen schilderten sie hochmotiviert ihre Sicht: "Es ist wichtig, den Überlebenden die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen", sagte die 16-jährige Schülerin Soraya aus der Maria-Ward-Schule in Mainz. Geschichte müsse bewahrt werden, damit sie sich nicht wiederholen könne, fügte die 17 Jahre alte Anna hinzu. "In letzter Zeit merkt man, dass der Antisemitismus wieder stärker wird."
Alodia Witaszek-Napierala mit Autor Reiner Engelmann.
(c) Hermann-Josef Gundlach
Eine öffentliche Abendveranstaltung mit Zeitzeugin Alodia Witaszek-Napierala und Autor Reiner Engelmann am 12.05.2022 in Bingen erfuhr regen Zuspruch: Rund 80 Personen fanden sich in der Aula der Hildegardisschule ein, um die Geschichte von Frau Witaszek-Napieralas Kindheit zu hören. Nachdem ihr Vater 1943 als Widerstandskämpfer hingerichtet und ihre Mutter nach Auschwitz verschleppt worden war, wurde sie der Familie geraubt und über verschiedene Stationen im KZ und in Kinderheimen an eine deutsche Familie gegeben, die sie adoptierte. Nach fast fünf Jahren kehrte sie zurück zur polnischen Familie. Im Gespräch mit Reiner Engelmann, der diese Geschichte im Buch "Alodia, Du bist jetzt Alice" festgehalten hat, schilderte Frau Witaszek-Napierala eindrücklich, wie der Rassenwahn der Nationalsozialisten ihre Kindheit zerstörte.
Mieczyslaw Grochowski hatte wie immer bei Zeitzeugengesprächen seine Trompete dabei. Bei jedem Schulgespräch spielte er zum Abschied für alle Schüler ein besonderes Stück, das an die polnischen und deutschen Kinder erinnert, die auf dem Friedhof des ehemaligen Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz begraben sind.
Mieczyslaw Grochowski spielte bei jedem Zeitzeugengespräch zum Abschied ein Stück auf der Trompete.
(c) Alois Bauer
Die Zeitzeugen waren sehr zufrieden, endlich wieder nach Deutschland kommen zu können. Angesichts der Tatsache, dass wieder Krieg in Europa herrscht, Hass im Internet verbreitet wird und Rassismus auf dem Vormarsch ist, war es ihnen ein großes Anliegen, den Schülern zu vermitteln, dass Frieden und Demokratie gefährdet sind und dass man sich dafür engagieren muss, um sie zu erhalten.
Eine Schifffahrt auf dem Rhein war ein willkommener Ausgleich.
(c) Stephanie Roth
Die ruhige Atmosphäre im Tagungshaus des Kloster Jakobsberg, das tolle Wetter und die Ausflüge am Nachmittag nach Eltville und an den Rhein boten den Gästen einen willkommenen Ausgleich. "Wir kommen auf jeden Fall im nächsten Jahr wieder", verabschiedeten sich die Gäste, als sie die Rückreise nach Polen antraten.