Alodia Witaszek-Napierała
1938 - 2024, aus Bydgoszcz/ PolenÜberlebende des Jugendverwahrlagers Litzmannstadt, "germanisiertes Kind"
Alodia Witaszek (*1938) war gerade fünf Jahre alt, als ihr Vater Franciszek Witaszek, ein angesehener Arzt und Wissenschaftler an der Universität Poznań, im Januar 1943 als Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Wenige Tage später wurde ihre Mutter verhaftet.
Die fünf Kinder im Alter von einem bis acht Jahren blieben allein zurück. Sie wurden zunächst von einer Nachbarin versorgt und dann von Familienangehörigen aufgenommen. Alodia und ihre jüngere Schwester Daria kamen bei einem Onkel in Poznań unter. Im Februar 1943 wurden sie vom so genannten Rasse-Amt untersucht und aufgrund ihrer blonden Haare und blauen Augen als "rassenützlich" eingestuft.
Im September 1943 verhaftete die Gestapo die Mädchen und brachte sie in das berüchtigte "Jugendverwahrlager Litzmannstadt" im heutigen Łódź. Hier wurden sie in der Baracke für "rassenützliche" Kinder untergebracht. Nach sechs Wochen kamen sie in ein "Gau-Kinderheim" nach Kalisch, eine Einrichtung zur "Verdeutschung" polnischer Kinder.
Von dort brachte man die Mädchen nach Bad Polzin in ein "Lebensborn"-Heim. Hier erhielt Alodia den Namen Alice Wittke. Im April 1944 wurde Alodia als "Geschenk des Führers" einer deutschen Familie zur Adoption übergeben. Von nun an hieß sie Alice Luise Dahl und wohnte in Stendal, wo sie ab Herbst 1944 zur Schule ging. Ihre Schwester Daria kam zu einer Familie in der Nähe von Wien.
Alodias Mutter überlebte die Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück. Nach Kriegsende suchte sie zwei Jahre lang nach ihren verschleppten Töchtern. Kurz vor Weihnachten 1947 hatte sie Erfolg: Alodia kehrte in ihre fast vergessene Familie zurück und musste ihre Muttersprache neu lernen. Kurz darauf kam auch ihre Schwester Daria zurück.
Den Kontakt zu ihrer deutschen Familie gab Alodia nie auf. Ihre polnische Mutter und ihre deutsche "Mutti" lernten sich Jahre später kennen und schlossen sogar Freundschaft. Ihr ganzes Leben lang blieb sie ein "Kind mit zwei Müttern". Sie lebte in Bydgoszcz/Polen.
Alodia Witaszek-Napierała verstarb am 16.6.2924.
Videos
"Fragt uns, wir sind die letzten..." - Im Gespräch mit Henriette Kretz
Quelle: Bistum Mainz
Literatur
Engelmann, Reiner: "Alodia, du bist jetzt Alice!" Kinderraub und Zwangsadoption im Nationalsozialismus. Erschienen im cbt Verlag, 2019. ISBN-13: 978-3-570-31268-1
Erhältlich bei der Bundeszentrale für Politische Bildung